Vor kurzem hatte ich ein Gespräch mit einem sehr erfahrenen Agile Coach. Nach einiger Zeit landeten wir bei einem Thema, das ich schon mehrmals mit Fachleuten besprochen hatte.

Es ging darum, ob man Probleme beim agilen Arbeiten in größeren hierarchischen Organisationen immer mit „mehr Agilität“ beantworten muss, ob mehr agile Expertise immer die beste Lösung für eine hybride Organisationssituation ist. Es stand jeweils die These im Raum, dass „eine etablierte Hierarchie im Falle von Schwierigkeiten in der Zusammenarbeit mit agilen Teams einfach rasch auch agil werden muss. Schließlich ist das viel besser. Dann ist das Problem gelöst.

Stellen Sie sich eine große Firma vor, die eine traditionell hierarchische Struktur für wesentliche Teile der Organisation hat. Und gleichzeitig gibt es dort eine Organisationseinheit, die agil aufgestellt ist. Das ist ein häufiges Szenario in großen Firmen, denn die IT-Abteilungen arbeiten oft schon viele Jahre mit agilen Methoden, Agilität in der restlichen Organisation wird gleichzeitig oft nur teilweise unterstützt.

Wenn dann in einer solchen Situation ein Projektteam aus agilen und traditionellen Einheiten aufgebaut ist, kann es früher oder später zu Spannungen zwischen den Projektteilnehmern kommen.

Die einen wollen beispielsweise klar prognostizierbare Planung und die anderen wollen eine iterative Vorgehensweise in kurzen Planungszyklen. Diese Situation tritt häufig auf. Es gibt sogar bekannte Begriffe dafür, wie „hybride Organisation“, „hybride Projekte“ und „Agiles Projektmanagement“.

Jetzt höre ich in den eingangs erwähnten Gesprächen mit Agile Coaches manchmal die Forderung nach „mehr Agilität“ von den traditionell geführten Teams für diese Situationen. Denn aus Sicht der agilen Teams ist oft Agilität „das bessere Vorgehensmodell und die hierarchisch aufgebauten Teams sollen sich endlich auch überwinden, das Bessere zu übernehmen. Dann wäre die Zusammenarbeit kein Problem mehr.“ Das kann eine Lösung sein, wenn die hierarchisch geführten Teams dazu bereit sind und sie mit den damit verbundenen Auswirklungen, der anderen Arbeitsweise, in ihren Strukturen umgehen können.

So kann beispielsweise ein Vertreter aus einer klassisch aufgebauten Linienstruktur zwar die benötigten Managementinstrumente „seiner Welt“ für sich selbst erstellen, das agile Team würde diese aber nicht oder nur eingeschränkt mittragen wollen. Denn das Team wiederum arbeitet nach einem anderen Prinzip, nämlich nach dem Abarbeiten eines sich ständig ändernden Backlogs in sehr kurzen Zyklen. Eine verlässliche Schätzung eines Fertigstellungszeitpunktes für einen bestimmten Inhalt ist damit nicht möglich, weil sich der Inhalt ständig ändern kann. Es geht also nicht um eine Planung von Zeit, Kosten und Aufwänden im Vorhinein, sondern um effektives Abarbeiten der Kundenanforderungen entsprechend ihrer Prioritäten. Und das macht man solange, bis der Kunde keine weiteren Anforderungen mehr umgesetzt haben möchte. Diese beiden Zugänge lassen sich auf reiner Prozessebene nur schwer vereinheitlichen.

Ein weiteres, stark abweichendes Prinzip, ist die Art der Führung, die ein agiles selbstorganisiertes Team erwartet.

Ein solches Team ist gewohnt, dass es sich im vereinbarten Rahmen selbst organisieren kann und soll. Das wiederum erfordert ein Führungsverhalten der Linien- und Projektmanager, der Freiraum für diese Teams bietet und Vertrauen in deren Arbeit hat.

Ein Manager aus klassisch geführten Strukturen würde sich jedoch schnell selbst in der Verantwortung sehen, die Übersicht und Kontrolle behalten zu wollen und könnte daher regelmäßig Details von den Teams verlangen, um mehr Einblick zu haben, sowie Entscheidungen selbst treffen zu können. Das widerspricht dem Grundsatz der Selbstorganisation und kann daher sehr schnell zu Spannungen führen.

Wenn es nun zu solchen oder ähnlichen Spannungen zwischen diesen beiden Welten kommt, werden auch gleich Lösungsvorschläge aus den beiden Lagern serviert. Ein traditioneller Manager könnte eventuell stärkere Kontrolle durch mehr Reporting in kürzeren Abständen fordern oder zusätzlich zentralere Entscheidungsfindung über das Projektmanagement oder sogar den Lenkungsausschuss. Alles etablierte Managementansätze, die auch in dem Umfeld jahrzehntelang gut funktioniert haben und auch heute noch tun. Leider passen diese nicht zu den Prinzipien des agilen Arbeitens.

Und daher kommt aus der agilen Organisation vielleicht der Vorschlag, der den traditionellen Teil der Firma dazu auffordert, sich der agilen Arbeitsweise anzuschließen. Manchmal wird diese Forderung auch sehr klar und direkt formuliert, denn die agile Organisation könnte das als die beste Lösung sehen.

Viele agile Experten sind der Meinung, dass ein „hybrides“ Zusammenarbeiten (ein bisschen was aus beiden Welten) nicht gut funktionieren kann. Denn traditionelles und agiles Arbeiten passen methodisch nicht gut zusammen. Es ist also offensichtlich nicht optimal.

Es gibt daher drei grundsätzliche Lösungsrichtungen:

1. Alle Beteiligten orientieren sich am klassisch etablierten Managementprozess

Das ist üblicherweise die Forderung einer klassischen Organisation. Diese Lösung funktioniert, sofern die agilen Teams nicht mehr agil arbeiten und stattdessen klassische Projektmanagementmethoden anwenden.

2. Alle Beteiligten orientieren sich am neuen agilen Ablauf

Das ist oft die Forderung von Vertretern einer agilen Organisation. Das funktioniert, wenn die Beteiligten sich an agile Abläufe halten und auf klassische Planungs-, Controlling- und Steuerungsmechanismen weitgehendst verzichten.

Das ist schon nahe an der Forderung nach einer grundsätzlichen Agilisierung der hierarchischen Organisationsteile. Ist das ohnehin die strategische Wahl des Top-Managements, ist der Weg klar: Agilität für die klassische Organisation!

Falls es nicht das gewählte Ziel ist, wird das wahrscheinlich in einer größeren Organisation einfach nicht oder nur sehr eingeschränkt stattfinden.

3. Hybride Zusammenarbeit etablieren (ein ‚Work Hack‘)

Das beschreibt einen möglicherweise hilfreichen Kompromiss zwischen zwei Welten. Ein Kompromiss ist niemals perfekt, aber erlaubt, Elemente beider Welten zu nutzen bzw. diese zu verbinden.

Man sollte sie allerdings bewusst und zielgerichtet miteinander verknüpfen und sich über deren positive und möglicherweise negative Wirkung im Klaren sein.

Dazu braucht es jemanden, der traditionelle und agile Elemente zielgerichtet vereinen kann und versteht, welche Auswirkungen das auf Themen wie Prozesse, Rollen, Informationsverteilung, Entscheidungsfindung, Führung und Steuerung in beiden Welten hat.

Wenn man also in einer großen Firma auf die Notwendigkeit der Zusammenarbeit zwischen agilen und traditionellen Teilen der Organisation trifft, gibt es verschiedene Lösungen. Dass es je nach Beteiligten eine Präferenz für bestimmte Lösungen gibt, ist sehr verständlich.

Es sollte allerdings eine bewusst getroffene Entscheidung für vorhandene Optionen geben, die anhand eines neutralen Standpunktes getroffen wird. Nicht weil „agil“ für viele moderner klingt oder weil „traditionell“ ein mächtigeres Management hat.

Aus diesem Blickwinkel sind meine Gespräche mit agilen Beratern leicht einzuordnen. Ich bekam die Meinung von Vertretern des agilen Lagers, des Agile Coaches. Die Lösung war also „Agilität für alle“, weil es für den agilen Berater die scheinbar bessere Variante ist. Aus der Sicht „A“ erscheint die Lösung „A“ oft als die Richtige!

Komplexe und stark übergreifende Organisationsentwicklungsthemen brauchen einen breiten Blickwinkel, um Optionen zu sehen und diese auch aus neutraler Sichtweise betrachten zu können.

bernhard-fink consulting